Vor 55 Jahren: Heym und das 11. Plenum des ZK der SED

Eines der folgenreichsten Ereignisse in der Kulturgeschichte der DDR jährt sich in diesen Tagen zum 55. Mal. Mit dem elften Plenum des Zentralkomitees der herrschenden Partei SED im Dezember 1965 wurde allen Tendenzen einer Öffnung und Demokratisierung im Bereich von Kunst und Kultur der Kampf angesagt. Das Ergebnis: Ein Dutzend Filme, die die staatliche Filmgesellschaft Defa im zu Ende gehenden Jahr produziert hatte, werden verboten, kritische Theaterstücke abgesetzt, die Beat-Musik als Instrument ideologischer Zersetzung der Jugend durch den Klassenfeind gebrandmarkt.

Stefan Heym zählte neben dem Philosophen Robert Havemann, dem Liedermacher Wolf Biermann und dem Romanautor Werner Bräunig zu jenen Intellektuellen, gegen die auf dem mehrtägigen Plenum die schärfsten Angriffe geführt wurden. Er gehöre „zu den ständigen negativen Kritikern der Verhältnisse in der DDR“, urteilte Erich Honecker in seinem Hauptreferat. Heym sei „offensichtlich nicht bereit, Ratschläge, die ihm mehrfach gegeben worden sind, zu beachten“.

Aktueller Blick zurück: Das Buch „1965. Der kurze Sommer der DDR“ ist im Verlag Carl Hanser erschienen. Für Autor Gunnar Decker setzte damals jene innere Erosion ein, die 1989 zum Zusammenbruch der DDR führte.

Das Buch „1965. Der kurze Sommer der DDR“ ist im Verlag Carl Hanser erschienen. Für Autor Gunnar Decker setzte mit dem 11. Plenum jene innere Erosion ein, die 1989 zum Zusammenbruch der DDR führte.

Auslöser waren neben Stefan Heyms damals noch unveröffentlichtem Roman über den Aufstand vom 17. Juni 1953 vor allem seine beiden Texte „Stalin verlässt den Raum“ (1964) und „Die Langeweile von Minsk“ (1965). Darin setzte er sich kritisch mit der Aufgabe der Intellektuellen in der Gesellschaft und dem Erbe der Stalin-Zeit auseinander. Hardliner in der Staats- und Parteiführung werteten dies als Angriff auf die führende Rolle der SED. „Die ,Wahrheit‘, die er verkündet“, so Honecker über Heym, sei „die Behauptung, dass nicht die Arbeiterklasse, sondern nur die Schriftsteller und Wissenschaftler zur Führung der neuen Gesellschaft berufen seien.“

Für Stefan Heym hatte die Verdammung durch das sogenannte Kahlschlag-Plenum unmittelbare und lang anhaltende Folgen. Bereits wenige Tage später erhielt er eine Vorladung zum Innenminister der DDR, der ihn aufforderte, jedwede öffentliche Äußerungen gegen die DDR künftig zu unterlassen. Heym bestritt, solche Äußerungen je getätigt zu haben. In den folgenden Jahren ist es Stefan Heym kaum noch möglich, in der DDR Bücher zu veröffentlichen. Im öffentlichen Leben des Landes gilt er fortan als unerwünschte Person.

Lese-Tipps: Die beiden Essays „Stalin verlässt den Raum“ (1964) und „Die Langeweile von Minsk“ (1965) sind unter anderem in dem Band „Wege und Umwege / Einmischung“ der Werkausgabe enthalten. Eine Reihe von Studien und zeitgenössischen Dokumenten zum Thema (darunter die Rede Honeckers) bietet der von Wolfgang Engler zusammengestellte Band „Kahlschlag. Das 11. Plenum des ZK der SED 1965“ (Berlin: Aufbau Taschenbuch, 2000). Eine ausführliche Untersuchung (nicht zuletzt der zeitgeschichtlichen und politischen Hintergründe) lieferte zuletzt Gunnar Decker mit dem Buch „1965. Der kurze Sommer der DDR“ (München: Carl Hanser, 2015).

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Vor 30 Jahren: Stefan Heym wird erstmals Ehrendoktor

Die Universität Bern. Foto: Krol:k / CC BY-SA 3.0

Die Universität Bern. Foto: Krol:k / CC BY-SA 3.0

Dass Religionswissenschaftler einen Sozialisten ehren, das ist ein wohl eher außergewöhnlicher Vorgang. Vor 30 Jahren, am 1. Dezember 1990, geschah genau dies: Stefan Heym wurde anlässlich des örtlichen Dies academicus von der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Bern die Ehrendoktorwürde verliehen. Die Fakultät würdigte damit seinen „intensiven und kreativen Umgang mit der Bibel“, wie er vor allem in zwei seiner bekanntesten Romane zum Ausdruck kommt – „Der König David Bericht“ (1972) und „Ahasver“ (1981).

Stefan Heym, der in einem nicht sonderlich religiösen deutsch-jüdischen Elternhaus aufgewachsen war, sah in der Auszeichnung keinen Widerspruch. Auch er sei ja nicht frei von Ängsten, die den Rest der Menschheit umtreiben, bekannte der damals 77-Jährige. „Unser Anfang und unser Ende liegen in erschreckendem Dunkel, und das einzige Licht in dieser Dunkelheit ist eben das von uns selbst geschaffene, der einzige erlösende Gedanke der von uns selbst erdachte: Gott.“

Lese-Tipp: Stefan Heyms Dankesrede anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde ist abgedruckt in dem Band „Offene Worte in eigener Sache“ mit Publizistik und Interviews Stefan Heyms aus der Zeit ab 1990, erschienen im btb-Verlag. Leseprobe: https://bit.ly/34kk2em.

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Heym und die US-Präsidentschaftswahl 1936

Franklin D. Roosevelt (1882-1945). Foto: The National Archives. Franklin D. Roosevelt Library. 6/30/1941-6/30/1949

Franklin D. Roosevelt (1882-1945). Foto: The National Archives. Franklin D. Roosevelt Library. 6/30/1941-6/30/1949

„Es ist ein kalter, frischer Novembermorgen. Bis zwei Uhr nachts haben wir an den Radioapparaten gehangen.“ Mit diesen Worten beginnt ein – soweit bekannt unveröffentlicht gebliebener – Text Stefan Heyms, den er als 23-Jähriger Anfang November 1936 in Chicago über den mit Spannung erwarteten Ausgang der amerikanischen Präsidentschaftswahlen schrieb. Der Demokrat Franklin D. Roosevelt war im Amt bestätigt worden. Den Erfinder des Reformprogramms „New Deal“ hatte Heym Wochen zuvor in einem Aufsatz für die in Prag erscheinende „Neue Weltbühne“ noch heftig kritisiert und der „sozialen Demagogie“ bezichtigt. Später, unter dem Eindruck der Expansion faschistischer Regimes in Europa, der Judenverfolgung und des Zweiten Weltkriegs änderte er seine Meinung radikal. Roosevelt und die Demokraten in der US-Regierung wurden für Heym zu entscheidenden Hoffnungsträgern im Kampf gegen Hitler. „Roosevelt war ein Stück innerer Sicherheit gewesen“, schreibt er rückblickend in seiner Autobiografie „Nachruf“.

Insgesamt erlebt Stefan Heym während der 15 Jahre, die er in den USA verbrachte, nur zwei Präsidenten – Roosevelt und, nach dessen Tod im April 1945, Harry S. Truman. Dessen republikanischer Nachfolger Dwight D. Eisenhower erhielt im Frühjahr 1953 von Heym ein Schreiben, mit dem er aus Protest gegen den Korea-Krieg seine militärische Auszeichnung (Bronze Star Medal) zurückgab, die ihm als Angehöriger der US-Streitkräfte im Zweiten Weltkrieg verliehen worden war.

Lese-Tipp: Zahlreiche publizistische Texte aus Stefan Heyms Zeit in den USA sind in dem Sammelband „Wege und Umwege/Einmischung“ erschienen. Eine Reihe rückblickender Bemerkungen über seine politischen Ansichten während der 1930er- und 1940er-Jahre finden sich zudem in Heyms Autobiografie Nachruf“, zuletzt erschienen bei Penguin (Leseprobe hier).

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Covid19: Alle Veranstaltungen auf 2021 verschoben

Angesichts der steigenden Covid19-Infektionszahlen und zu erwartender weiterer Einschränkungen des öffentlichen Lebens werden in diesem Jahr leider keine Veranstaltungen der Internationalen Stefan-Heym-Gesellschaft mehr stattfinden können. Ein für November geplantes Zeitzeugengespräch über Heyms Publizistik mit Heinfried Henniger, Lektor und Mitherausgeber mehrerer Bücher Stefan Heyms, soll im kommenden Jahr nachgeholt werden, kündigt Dr. Ulrike Uhlig, die Vorstandsvorsitzende der Gesellschaft, an. Auch für eine ebenfalls für November geplante Präsentation junger Nachwuchswissenschaftler, die sich mit verschiedenen Aspekten in Stefan Heyms Werk auseinandergesetzt haben, werde versucht, einen Nachholtermin zu vereinbaren.

Zuvor hatten bereits im Frühjahr mehrere Veranstaltungen coronabedingt abgesagt werden müssen, darunter ein Vortrag mit Lesung anlässlich der Reihe „75 Jahre unbesetzte Zeit“ in Schwarzenberg, dem Schauplatz eines Romans Stefan Heyms aus den 1980er-Jahren. Sie soll ebenfalls im Jahr 2021 nachgeholt werden.

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Chemnitz macht Heyms Arbeitsbibliothek zugänglich

Stefan Heyms Arbeitsbibliothek in seinem Haus in Berlin-Grünau.

Stefan Heyms Arbeitsbibliothek in seinem Haus in Berlin-Grünau. Foto: M. Müller

Die Arbeitsbibliothek von Stefan und Inge Heym wird dauerhaft der Forschung zugänglich gemacht und öffentlich präsentiert. Heyms Geburtsstadt Chemnitz hat die mehrere Tausend Bände umfassende Sammlung von Inge Heym vor einiger Zeit als Schenkung übereignet bekommen. Ein Großteil des Bestandes wird in Originalmobiliar aus Heyms Haus in Berlin-Grünau im neu geschaffenen Stefan-Heym-Forum ausgestellt, einem Ausstellungs- und Veranstaltungsbereich zu Leben und Werk des Schriftstellers im Chemnitzer Kulturzentrum „Das Tietz“.

Die über Jahrzehnte hinweg erwachsene Arbeitsbibliothek umfasst ca. 2400 Bände aus dem privaten Bestand von Stefan und Inge Heym und zeigt die gesamte Bandbreite der Themen in Heyms schriftstellerischem und publizistischem Schaffen. Sie umfasst unter anderem Sekundärliteratur und Nachschlagewerke, die er für seine Recherchen verwendete, zudem deutsch- und englischsprachige Literatur aus mehreren Jahrhunderten, zahlreiche Widmungsexemplare von Schriftstellerkollegen sowie Ausgaben von Heyms eigenen Werken in bis zu 24 verschiedenen Sprachen.

Das mit finanzieller Unterstützung der Ostdeutschen Sparkassenstiftung entstandene Stefan-Heym-Forum wurde am 16. Oktober durch Sachsens Kulturministerin Barbara Klepsch (CDU) und Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) offiziell eröffnet. Ein Besuch des Stefan-Heym-Forums ist künftig während der Öffnungszeiten des Kulturzentrums „Das Tietz“ jederzeit kostenfrei möglich. Regelmäßige Führungen sind geplant.

Der Gesamtbestand der Stefan-und-Inge-Heym-Arbeitsbibliothek kann voraussichtlich ab Ende November über den Onlinekatalog der Stadtbibliothek Chemnitz recherchiert und nach vorheriger Absprache für Zwecke der Wissenschaft und Forschung während der Öffnungszeiten der Stadtbibliothek Chemnitz vor Ort eingesehen werden.

Adresse: Stefan-Heym-Forum, Kulturzentrum „Das Tietz“, Moritzstraße 20 (3. Etage), 09111 Chemnitz. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 8.30 bis 19 Uhr, Samstag 9.30 bis 18 Uhr, Sonntag und an Feiertagen 9.45 bis 18 Uhr. Eintritt frei. Anfragen und Terminvereinbarungen: Montag bis Mittwoch, 9 bis 13 Uhr unter Telefon 0371/4884117, Donnerstag und Freitag, 10 bis 19 Uhr unter 0371/4884222.

Achtung: Aufgrund der geltenden Einschränkungen zur Eindämmung des Covid-19-Infektionsgeschehens sind derzeit leider keine Besuche möglich.

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Vor 75 Jahren: Stefan Heym und „Die Neue Zeitung“

Titelseite der ersten Ausgabe der „Neuen Zeitung“ vom 18. Oktober 1945. Links eine Kolumne von Stefan Heym.

Titelseite der ersten Ausgabe der „Neuen Zeitung“ vom 18. Oktober 1945. Links eine Kolumne von Stefan Heym.

Mit einer Kolumne von Stefan Heym auf der Titelseite erschien im Herbst 1945 in München die erste Ausgabe der „Neuen Zeitung“. Das von der amerikanischen Militärregierung herausgegebene Blatt wurde binnen kurzer Zeit zur erfolgreichsten deutschsprachigen Zeitung der Nachkriegszeit und erzielte außerordentlich hohe Auflagen. Dem Mitarbeiterstab gehörten neben Angehörigen der US-Armee wie Stefan Heym mehrere deutsche Redakteure an, darunter der Schriftsteller Erich Kästner, dessen Lebensgefährtin Luiselotte Enderle, die Wissenschaftlerin und spätere FDP-Politikerin Hildegard Brücher sowie der spätere Fernseh-Moderator Robert Lembke.

Stefan Heym war vor allem für außenpolitische Themen zuständig. Er betreute die Rubrik „Weltpolitische Umschau“, in der er mit Nachrichten aus aller Welt ausführlich über aktuelle Entwicklungen rund um den Globus berichtete. Besonderes Augenmerk widmete er der Gründung der Vereinten Nationen (UN) und dem Bemühen, in Europa eine tragfähige Nachkriegsordnung zu etablieren. Doch Heyms Engagement bei der Neuen Zeitung“ dauerte nur wenige Wochen. Angesichts der zunehmend distanzierten Haltung der USA gegenüber der Politik ihres bisherigen Verbündeten Sowjetunion kam es bald zu Konflikten über die politische Linie seiner Beiträge. Nach einer Auseinandersetzung über einen seiner Leitartikel schied er aus der Redaktion aus. Noch vor Weihnachten ging er aus Deutschland zurück nach Amerika, wo er wieder als Schriftsteller arbeitete. Wenige Monate später trat sein Vorgesetzter Hans Habe, der Gründer der Zeitung, als Chefredakteur zurück. „Die Neue Zeitung“ erschien bis 1955.

Lese-Tipp: Stefan Heyms Kolumne „Der eigene Magen“ aus der ersten Ausgabe der Neuen Zeitung“ ist im Sammelband Wege und Umwege mit Publizistik Heyms aus fünf Jahrzehnten abgedruckt. Einen weiteren Leitartikel Heyms („Fassungsvermögen“), der in Nummer 2 der Neuen Zeitung“  (21. Oktober 1945) erschien, enthält die von Wilfried F. Schoeller herausgegebene Sammlung „Diese merkwürdige Zeit. Leben nach der Stunde Null“ (Frankfurt am Main: Edition Büchergilde, 2005), die Texte aus der Neuen Zeitung“ aus den Jahren 1945 bis 1955 dokumentiert.

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„Auf Sand gebaut“: Geschichten zur Wiedervereinigung 1990  

Das Büchlein erschien pünktlich zur Deutschen Einheit und war das wohl erste Werk der Belletristik, das wesentliche Facetten des Umbruchs im Osten des Landes hinterfragte: Mit „Auf Sand gebaut“ legte Stefan Heym bereits im Herbst 1990 einen Band mit sieben Kurzgeschichten vor, die zeittypische Erscheinungen auf dem Weg zur Wiedervereinigung illusionslos beschreiben. Im Mittelpunkt stehen die sprichwörtlichen „Wendehälse“ – einstige Träger des DDR-Systems, die flink Anschluss finden an die Marktwirtschaft. Aber auch von irritierten Stasifunktionären, die plötzlich ohne Aufgabe dastehen, ist die Rede; von etablierten Künstlern, die neuerdings nichts mehr wissen wollen von ihren früheren Orden und Ehrungen, und von „Alteigentümern“ aus dem Westen, die enteigneten Immobilienbesitz zurückverlangen – auch wenn dieser sich auf „Arisierungen“ während der Nazizeit gründet. Ein Heym-typisches literarisches Kontrastprogramm zur nationalen Euphorie der damaligen Zeit, das voller Sarkasmus zugleich die Tragfähigkeit des gesellschaftlichen Fundaments des neuen Deutschlands infrage stellt. Der Titel „Auf Sand gebaut“, so äußerte Heym bei der Vorstellung des Buches, deute zudem die politische Lage an und stehe für die „Geschichte der DDR, auch was sein könnte nach all den großen Reden, die jetzt geschwungen werden“.

Lese-Tipp: „Auf Sand gebaut“ ist zuletzt mit der zwei Jahre später veröffentlichten Essaysammlung „Filz. Gedanken über das neueste Deutschland“ als Doppelband im btb-Verlag erschienen.

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Vor 75 Jahren: Stefan Heym berichtet aus Lüneburg

Einleitung für einen Korrespondentenbericht Stefan Heyms aus Lüneburg in der „Münchener Zeitung” vom 22. September 1945.

Einleitung eines Korrespondentenberichts Stefan Heyms aus Lüneburg („Münchener Zeitung”, 22. September 1945).

Vier Monate nach Ende des Zweiten Weltkrieges begann im Herbst 1945 in Lüneburg der erste Prozess gegen deutsche Kriegsverbrecher auf deutschem Boden. Vor einem britischen Militärgericht mussten sich ab 17. September 45 Angehörige der Verwaltung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen verantworten, darunter Lagerkommandant Josef Kramer. Der Prozess, bei dem auch eine Reihe von Verbrechen im KZ Auschwitz verhandelt wurde, stieß international auf großes Interesse. Rund 200 Journalisten berichteten über die einzelnen Verhandlungstage.

Als Angehöriger der US-Armee war Stefan Heym zu dieser Zeit als Journalist und Redakteur für die deutschsprachige Presse der amerikanischen Militärregierung in Deutschland tätig. Er verfolgte bis Oktober 1945 Teile des Prozesses als Berichterstatter für mehrere Blätter, die in der US-Besatzungszone erschienen. In seiner Autobiografie Nachruf“  bewertete er den Stil der Artikel rückblickend als „höchst zurückhaltend“, gleichwohl er damals versucht gewesen sei, „sich mit den Opfern dieser Kramer und Konsorten zu identifizieren“. Was Stefan Heym erst Jahre später erfuhr: Unter den 1945 befreiten Häftlingen des Lagers Bergen-Belsen befand sich auch eine seiner Berliner Cousinen.

Der Prozess endete Mitte November 1945, als Stefan Heym bereits nach München kommandiert worden war. Elf Angeklagte wurden zum Tode verurteilt, 19 erhielten Haftstrafen. Die übrigen wurden freigesprochen.

Lese-Tipp: Eine Zusammenfassung der Korrespondentenberichte Heyms aus Lüneburg unter dem Titel Wir alle starben in Auschwitz“ ist in dem Band Wege und Umwege“ enthalten.

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Vor 50 Jahren: Heyms Novelle „Die Schmähschrift“ erscheint

Ausgabe des Buchverlages Der Morgen, in dem Stefan Heyms Novelle „Die Schmähschrift oder Königin gegen Defoe“nach mehreren Jahrn Verzögerung schließlich auch in der DDR erschien.

Es war die Zeit, da dem Schriftsteller Stefan Heym im eigenen Lande zum ersten Mal dasselbe Schicksal widerfuhr wie dem Historiker Ethan in seinem Roman Der König David Bericht, nämlich totgeschwiegen zu werden, da brachte der Zürcher Verlag Diogenes im Frühjahr 1970 ein Büchlein heraus, das heute als eines der besten Prosawerke Heyms gilt: Die Schmähschrift oder Königin gegen Defoe. Die Novelle basiert auf einer Episode aus dem Leben des englischen Schriftstellers Daniel Defoe (um 1660 – 1731). Der Schöpfer des Robinson Crusoe war einer der frühen und leidenschaftlichen Vertreter der Aufklärung im englischen Königreich. In zahlreichen Schriften und Flugblättern setzte er sich für religiöse und politische Freiheiten ein, was ihn immer wieder in ernste Konflikte mit der Obrigkeit und an den Pranger brachte.

Parallelen zu Heyms eigener Situation in der DDR – seit dem 11. Plenum des Zentralkomitees der SED 1965 galt er als anscheinend unbelehrbarer Verfechter falscher Sichtweisen auf die Geschichte von Staat und Partei – ließen damals rasch erahnen, dass es ihm in Die Schmähschrift keineswegs nur um die Gestaltung eines historischen Stoffes ging. Vielmehr nutzte er die mehr als zweieinhalb Jahrhunderte zurückreichenden Ereignisse um Defoe zur Bloßstellung der aktuellen Verhältnisse im Lande, namentlich der Unterdrückung von Meinungen, die von den offiziellen Lesarten abweichen.

Um es den Zensoren in der DDR nicht allzu leicht zu machen, das Buch aus diesem Grunde zu verbieten, ließ Stefan Heym sich von einem Gutachter bestätigen, dass seine Novelle ausschließlich auf nachprüfbaren historischen Fakten beruht. Trotzdem konnte Die Schmähschrift zunächst nur im Westen erscheinen und erst Jahre später auch in der DDR. Die Kritik reagierte überwiegend positiv, zum Teil regelrecht enthusiastisch. „Eines der raffiniertesten literarischen Pamphlete unserer Zeit“, urteilte etwa die Zeitschrift „Deutsche Bücherkommentare“.

Lese-Tipp: Die Schmähschrift ist zuletzt erschienen in dem Band Stefan Heym: Gesammelte Erzählungen (btb-Verlag). Leseprobe: hier.

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Heym 1945: Der Krieg ist aus

Foto: Nachlass Stefan Heym

Foto: Nachlass Stefan Heym

„Zu Ende. Das deutsche Oberkommando hat sich ergeben, bedingungslos. VE-Day, der Tag des Victory in Europe, auf den man so lange gewartet hat, ist gekommen, der Spuk vorbei.“ – Stefan Heym erlebte den Mai 1945 als amerikanischer Unteroffizier in Bad Nauheim bei Frankfurt am Main, wo die US-Streitkräfte Wochen zuvor einen Teil ihrer für Pressefragen zuständigen Einheiten einquartiert hatten. Als er von der Kapitulation Deutschlands erfährt, begibt er sich aus seiner Stube nach draußen und feuert alle Patronen des Magazins seiner Dienstpistole in die Luft („ein Feuerwerk für mich ganz allein“). Kurz darauf begegnet er einem der örtlichen Parkwächter, als der gerade Fußball spielende Kinder verjagen will. Sergeant Heym weist ihn zurecht. „Es sei Aus und vorbei mit der alten Ordnung“, erinnert sich Heym in seiner Autobiografie Nachruf an seine damalige Standpauke, „und Freiheit herrsche von jetzt an in Deutschland und alle dürften tanzen und singen, überall, neue Tänze, neue Lieder, und umherhüpfen auf dem Kurrasen im Kurpark von Nauheim, kapiert?“

Fünf Jahrzehnte später bezeichnete Stefan Heym in einem Beitrag für die „Berliner Zeitung“ den 8. Mai 1945 als einen jener Momente, „in denen die Menschheit den ersten Schritt unternimmt in eine neue Ära“ – trotz manch enttäuschter Hoffnung bei all jenen, die damals „von einem anderen, besseren, demokratischen oder gar sozialistischen Lande geträumt und oft auch dafür gelitten hatten.“

Lese-Tipp: Stefan Heyms Beitrag „Befreiung“ vom Mai 1995 ist enthalten in dem Sammelband Offene Worte in eigener Sache, der im btb-Verlag erschienen ist. Eine Leseprobe zu dem Buch gibt es hier.

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