Am 4. November 1989 findet auf dem Alexanderplatz in Berlin die größte Kundgebung während der friedlichen Revolution in der DDR statt. Schätzungen sprechen von bis zu 500.000 Teilnehmern. Berliner Theaterschaffende hatten dazu aufgerufen, sich mit der Kundgebung für die Verwirklichung der in der Verfassung der DDR eigentlich garantierten Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit einzusetzen. Zu den Rednern der mehrstündigen, im Fernsehen live übertragenen Veranstaltung zählen prominente Oppositionelle wie Marianne Birthler, Jens Reich, Friedrich Schorlemmer, Schauspieler wie Steffi Spira, Ekkehard Schall und Jan Josef Liefers, Schriftsteller wie Christa Wolf, Christoph Hein und Heiner Müller, aber auch Vertreter der herrschenden SED und von Blockparteien, wie Günter Schabowski (SED) und Manfred Gerlach (LDPD).
Angekündigt als „Nestor unserer Bewegung“ und vielfach von Applaus unterbrochen, spricht Stefan Heym in seiner knapp achtminütigen Rede („Es ist, als habe einer die Fenster aufgestoßen…“) sich vor allem für eine stärkere demokratische Kontrolle der Regierung aus. „Der Sozialismus, nicht der Stalinsche, der richtige, den wir endlich erbauen wollen zu unserem Nutzen und zum Nutzen ganz Deutschlands, ist nicht denkbar ohne Demokratie“, argumentiert er – und greift dabei einen der zentralen Reformgedanken auf, die er bereits in seinem Anfang der 1980er-Jahre entstandenen, in der DDR verbotenen Roman Schwarzenberg entwickelt hatte. Dass nur fünf Tage später die Mauer fallen würde, ahnt zu dieser Zeit noch niemand.
Bis heute zählt Stefan Heyms Rede vom 4. November zu einem der bekanntesten und eindrücklichsten Zeitdokumente aus dem Herbst 1989.
Lese-Tipp: Der Wortlaut der Rede Heyms ist abgedruckt unter anderem in dem Sammelband Wege und Umwege/Einmischung (München: btb, 1998).