Es war die Zeit, da dem Schriftsteller Stefan Heym im eigenen Lande zum ersten Mal dasselbe Schicksal widerfuhr wie dem Historiker Ethan in seinem Roman Der König David Bericht, nämlich totgeschwiegen zu werden, da brachte der Zürcher Verlag Diogenes im Frühjahr 1970 ein Büchlein heraus, das heute als eines der besten Prosawerke Heyms gilt: Die Schmähschrift oder Königin gegen Defoe. Die Novelle basiert auf einer Episode aus dem Leben des englischen Schriftstellers Daniel Defoe (um 1660 – 1731). Der Schöpfer des Robinson Crusoe war einer der frühen und leidenschaftlichen Vertreter der Aufklärung im englischen Königreich. In zahlreichen Schriften und Flugblättern setzte er sich für religiöse und politische Freiheiten ein, was ihn immer wieder in ernste Konflikte mit der Obrigkeit und an den Pranger brachte.
Parallelen zu Heyms eigener Situation in der DDR – seit dem 11. Plenum des Zentralkomitees der SED 1965 galt er als anscheinend unbelehrbarer Verfechter falscher Sichtweisen auf die Geschichte von Staat und Partei – ließen damals rasch erahnen, dass es ihm in Die Schmähschrift keineswegs nur um die Gestaltung eines historischen Stoffes ging. Vielmehr nutzte er die mehr als zweieinhalb Jahrhunderte zurückreichenden Ereignisse um Defoe zur Bloßstellung der aktuellen Verhältnisse im Lande, namentlich der Unterdrückung von Meinungen, die von den offiziellen Lesarten abweichen.
Um es den Zensoren in der DDR nicht allzu leicht zu machen, das Buch aus diesem Grunde zu verbieten, ließ Stefan Heym sich von einem Gutachter bestätigen, dass seine Novelle ausschließlich auf nachprüfbaren historischen Fakten beruht. Trotzdem konnte Die Schmähschrift zunächst nur im Westen erscheinen und erst Jahre später auch in der DDR. Die Kritik reagierte überwiegend positiv, zum Teil regelrecht enthusiastisch. „Eines der raffiniertesten literarischen Pamphlete unserer Zeit“, urteilte etwa die Zeitschrift „Deutsche Bücherkommentare“.
Lese-Tipp: Die Schmähschrift ist zuletzt erschienen in dem Band Stefan Heym: Gesammelte Erzählungen (btb-Verlag). Leseprobe: hier.